Mittwoch, 11. Mai 2016

Reise in die Vergangenheit

Das Haus, das eigentlich Pencrew heißt und irgendwo in der Pampas von Cornwall steht, wird von allen Black Rabbit Hall genannt und gibt damit dem Roman von Eve Chase den Titel vor. Das ist auch gut so, denn tatsächlich ist das Haus die treibende Kraft im Roman, und nicht die Menschen.
DSC_0003 (1)Irgendwie ist der Roman fast ein wenig episch. Jedenfalls auf eine moderne Art. Ich habe den dicken Wälzer (wie könnte es auch anders sein, bei einer langen Familiengeschichte, die immer noch mit der Gegenwart verwoben ist?) verschlungen und ich kann sagen, dass diese Geschichte nun wahrlich zu einem meiner Lieblingsbücher geworden ist. Ein wenig habe ich das schon geahnt, als ich in die Leseprobe geschaut hatte.
Lorna und ihr Verlobter suchen nach einer Lokation für ihre Hochzeit. Cornwall muss es sein und als Lorna in Black Rabbit Hall steht, weiß sie, dass sie hier heiraten will und nirgendwo sonst. Aber sie spürt auch, dass das alte Gebäude eine Geschichte birgt, in die sie mit verwickelt zu sein scheint.
DSC_0004Diese Geschichte erfährt der Leser abwechselnd zu Lornas. Es ist die von den Geschwistern,  die einst in Black Rabbit Hall zu Hause gewesen sind: Amber, Toby, Barney und Kitty. Im Jahr 1968 ändert sich für die glückliche Familie alles - und Black Rabbit Hall verliert seinen Status als Zufluchtsort.
Besonders schön ist, dass der Roman nicht einfach damit endet, dass Lorna heiratet und man die Geschichte der vier Geschwister erfahren hat, sondern noch ein gutes Stück darüber hinaus geht und zeigt, wie sehr die Geschichten miteinander verwoben sind.

Eve Chase

Black Rabbit Hall. Eine Familie. Ein Geheimnis. Ein Sommer, der alles verändert. Blanvalet

ISBN: 978-3-7645-0560-8
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Sonntag, 1. Mai 2016

Rein oder nicht rein (gehen und "Hamlet" sehen)?

DSC_0001Um die Frage in der Überschrift zu beantworten: Ganz klar rein gehen und Hamlet im Nationaltheater Mannheim sehen. Zuvor allerdings die Erwartungen an den Shakespeare-Stoff zurück schrauben! Dann wird es ein erstklassig gespielter und unterhaltsamer Abend. Wer aber kommt, um Shakespeare zu sehen, der ist hier leider an der falschen Adresse und könnte möglicherweise ein wenig pikiert sein, über die "Verfremdung", die das Stück hier erfährt.
Das lässt schon der Aufbau des Bühnenbildes erahnen, das an eine weiße Halfpipe aussieht und ansonsten eher karg ist.  Übermütig tollen Hamlet und Ophelia herum. Wunderbar verrückt und so fesselnd, spielt Julius Forster seinen Hamlet, der meistens dem Wahn näher ist, als dem Leben. Schon er alleine macht dieses Stück sehenswert. Ein Glück, dass seine (Spiel-)Partnerin die unvergleichliche Katharina Hauter ist. Ihre Ophelia ist auf ihre ganz eigene Art so zart und verletzlich. Mitten hinein in das unbeschwerte und doch melancholische Dasein der beiden, platzt das Erscheinen des Geistes von Hamlets Vater (Klaus Rodewald). Was muss ich noch an Worten über Klaus Rodewald sagen? Sobald er die Bühne betritt, dominiert er sie auch. Wenn er auch in Forster einen nicht weniger präsenten Spielpartner hat.
DSC_0002Der Vater von Hamlet ist plötzlich gestorben. In dieser Version ist er kein König, sondern ein Firmenmogul. Der Geist behauptet nun, sein Bruder, also Hamlets Onkel, habe ihn ermordet. Und er fordert Rache durch seinen Sohn. Onkel Claudius (Stefan Reck, viel zu nett für einen Schurken!) hat inzwischen Hamlets Mutter Gertrud (Anke Schubert, großartig kaltherzig) geheiratet und übernimmt mit ihr die Leitung der Firma. Hamlet, desinteressiert daran und dennoch der rechtmäßige Erbe, wird zunehmend eifersüchtiger auf die Mutter, ihr neues Glück, dass sie so einfach den Vater vergessen hat - und wahnsinniger wird er im gleichen Maß. Sein Wahn reißt sie schließlich alle zusammen in den Abgrund, auch Ophelias Vater Polonius (Edgar M. Böhlke, erinnert in seiner Erscheinung an Blacky Fuchsberger) und die bezaubernden "Wachhunde" Rosencrantz (Matthias Thömmes, sehr 90er Jahre!) und Guildenstern (Sven Prietz, niedlich hözern), das schwule Pärchen, das am Ende des Stücks mein ganzes Mitgefühl erregt hat.
Helena Daehler, die das Stück nicht nur musikalisch umrahmt, ist nicht nur Rahmen, sondern wirkt aktiv im Geschehen mit. Das ist am Anfang etwas verwirrend, da sie keine "klassische" Rolle übernimmt, sondern immer sie selbst bleibt. Ihr Erscheinen reiht sich aber ein in die Reihe ihrer Auftritte der Stücke, u.a. bei Emilia Galotti. Ihre Lieder auf Schwiizerdütsch gehören schon fast zu den Stücken von Elmar Goerden dazu.
DSC_0003Ich mag zu modern inszenierte Stücke eigentlich nicht. Aber trotz allem muss ich zugeben, dass ich fasziniert bin von dieser Version. Mein Highlight, da unerwartet und unverschämt witzig, war die Tischrede Hamlets am Weihnachtstag; im Stück unbedingt darauf achten...
William Shakespeares wohl berühmteste Tragödie, uraufgeführt 1601, zeigt eine Welt, die aus den Fugen gerät, und in der die Grenzen zwischen Realität, Intrigentheater und Verfolgungswahn verwischen. Und daran hält sich auch Goerden, auf seine Weise.
Gut, dass es in der Ankündigung daher gleich "nach William Shakespeare in der Fassung von Elmar Goerden" heißt.