"Zeit ist die größte Entfernung zwischen zwei Orten", so heißt es im Drama von Tennessee Williams "Die Glasmenagerie", ein Stück, das ich in der Universität gelesen und sofort geliebt habe. Umso gespannter war ich auf die Umsetzung des Nationaltheaters Mannheim. Ein wenig skeptisch war ich, das gebe ich zu. Bei der Betrachtung des Bühnenbildes, das eine langgezogene Sitzreihe mit Klappstühlen wie in einem Diner oder einer Bahnhofswartehalle, trist und wenig einladend, vollgestopft und doch leer - wie das Leben der Familie Wingfield eben.St. Louis in den 30er Jahren. Es ist eine trostlose Zeit für die drei Familienmitglieder der Familie Wingfield, die jeder für sich ihren Problemen nachhängen und damit ungewollt den jeweils Anderen zur Last und nahezu unerträglich werden.
Mutter Amanda (fast schon zu sexy: Ragna Pitoll) kann zwei Dinge nicht verwinden: Den verschwundenen Ehemann, für den sie alle (besseren!) Bewerber abblitzen ließ und den Verlust ihrer Jugend und ihres einstigen Glanzes, ja, nahezu Ruhms. Sie möchte dieses Leben für ihre Kinder, die aber eigentlich etwas ganz Anderes wollen. Sohn Tom hält sich mit einer unwürdigen Arbeit in einer Fabrik über Wasser (und damit auch den Rest der Familie). Eigentlich ist er ein Dichter, Autor, Poet, ein Künstler, viel zarter besaitet noch als seine (körperlich) behinderte Schwester Laura. Matthias Thömmes und Anne-Marie Lux geben ein wunderbar harmonisches Geschwisterpaar ab, fast schon zu harmonisch, sodass sich auch hier wieder, wie im Williams' Drama, der Eindruck verfestigt, die einzig wahre Liebe für Tom und Laura wäre die unter den beiden Geschwistern.
Lux, am Anfang vielleicht ein wenig zu laut für die eigentlich zarte Laura, findet sich aber in ihre Rolle und gibt der jungen Frau Charakter, den Laura immer zu leugnen versucht. Thömmes reicht nicht ganz an den Charme von Sam Waterston heran, den ich immer mit Tom verbinde, gibt ihm aber ein ganz neues Selbstbewusstsein.
Während Laura nicht mehr zum Steno-Kurs geht und sich lieber zu Hause einschließt, Jungmädchenträume träumend und eine Menagerie an Glasfigürchen pflegend, treibt es Tom hinaus. Doch die Mutter möchte gerne beide Kinder unter der Haube sehen - idealerweise lukrativer als ihre eigene Verbindung. Also bringt eines Abends Tom seinen Arbeitskollegen Jim O'Connor mit (Martin Aselmann, gibt Jim die nötige Unseriösität durch nervöses Lachen und dem bleibenden Eindruck, dass er selbst diesen Typen nicht so ganz ernst nehmen kann). Jim ist Lauras Jugendschwarm - und irgendwie auch der Schwarm der restlichen Familie. Dieser eine Abend ist das einschneidende Erlebnis im Leben der Wingfields, für alle wird danach nichts mehr so sein, wie es war.
Es ist sehr bewegend und intensiv, den Vieren auf der Bühne zu zusehen, wie sie sich durch das Leben der Wingfields/O'Connors quälen, musikalisch untermalt wird es aber nicht zäh. Wie in der Verfilmung aus dem Jahr 1973 verfalle ich auch hier dem traurig-schönen Zauber der Geschichte. Eine besonders schöne Hommage an Tennessee Williams im Stück übrigens gleich zu Beginn. Mein bisheriges Theater-Highlight 2016.
https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/schauspiel/stueck_details.php?SID=1593
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