Montag, 10. August 2015

Ein Anagramm für Liebe


Nach "Margos Spuren", "Eine wie Alaska" und "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" stand ein weiterer Roman von John Green auf meiner Wunschliste und endlich habe ich ihn mir gegönnt: "Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen)". Es ist - für mich als Germanistin eher erschreckend - ein äußerst mathematisches Buch. Ein Roman voller Formeln, zum Glück aber mit erklärenden Fußnoten - und hier bin ich wieder versöhnt. 
DSC00396Die Berechnungen und Formeln sind schnell erklärt: Colin war 19 (!) mal mit einem Mädchen namens Katherine zusammen (also, mit ca. 19 verschiedenen - und das in jungen Jahren...), aber immer wieder scheiterten diese Beziehungen. Colin ist am Boden und will heraus finden, was schief gelaufen ist. Rational geht er an die Sache heran und will eine mathematische Formel aufstellen, die Aussage darüber geben kann, wer wen wann sitzen lassen wird. Mit seinem besten Freund, Dickerchen Hassan, macht er sich noch dazu zu einem Road Trip auf, der schnell irgendwo im tiefsten Tennessee endet. Dort lernt er Lindsey kennen. Und plötzlich wird das Liebestheorem nicht mehr das Wichtigste in seinem jungen Leben. 
Alles in allem hat mich dieser Roman nicht so berauscht wie "Margos Spuren" oder "Eine wie Alaska" (zu dieser Leihgabe gibt es leider keine Besprechung, da ich den Roman zu sehr durch analysiert habe mit Schülern). Was ich an John Greens Romanen so mag, ist, dass man sie auch als Erwachsene lesen kann. Irgendwie geben sie noch einmal Rückschluss auf die eigene Jugend, aber auch als Erwachsene haben sie einen gewissen, unterschwelligen Reiz. Es ist, als ob auch wir Große in all seinen Geschichten unseren Platz hätten. Auf meinem Bett liegt noch "Will & Will", auch ein Titel meiner Wunschliste. Eine Gemeinschaftsproduktion mit David Levithan, über die ich dann demnächst schreibe.

Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen), Reihe Hanser

John Green

ISBN 978-3-423-62449-7

Sonntag, 2. August 2015

Das Leben ein Phantom

DSC00384Eigentlich haben sie längst Feierabend, die fünf Mitarbeiter des Schnellrestaurants irgendwo in Deutschland. Einer muss seinen Bus nach Hause bekommen, die anderen sind ein wenig sauer. Dann aber finden sie beim Aufräumen ein Baby. Ist es vergessen oder absichtlich zurück gelassen worden? Vor allem, von wem? So beginnt das Stück "Phantom (Ein Spiel) (UA)", bei dessen Uraufführung/Vorabpremiere im Nationaltheater Mannheim im Julis 2015 ich glücklicherweise zugegen sein durfte. 
In einer Kulisse, die eigentlich eher auf das Werkhaus hindeutet, im Verlauf des Stückes jedoch ihre Notwendigkeit unterstreicht, überlegen die fünf Schauspieler fieberhaft, wie es dazu kommen konnte, dass das kleine Mädchen sich selbst überlassen wurde. DSC00385Im Zentrum ihrer Überlegungen steht schnell eine phantomhafte Frau, die sie Blanca nennen. Höchstwahrscheinlich ist sie Ausländerin. Doch ihre Beweggründe können vielfältig sein. Ist sie in der Hoffnung auf Arbeit nach Deutschland gekommen, dann in Bedrängnis geraten? Es ist eine Geschichte, die nicht nur erzählt, sondern die vielmehr konstruiert und rekonstruiert, heißt es auf der Website des NTM. Daher braucht man als Zuschauer einige Zeit, um sich in das Stück einzufinden. 
Carmen Witt spielt ihre Blanca gebildet und vielleicht ein wenig zu erfolgsorientiert, die ziemliches Glück im Unglück hat, und fest daran glaubt, in Deutschland Fuß fassen zu können. Sie versucht Klischees zu trotzen und begegnet dem leibhaftigen Klischee in Form von Sabine Fürst. Ihre Deutsche ist eine stereotype Hartz-IV-Empfängerin mit schnodderigem (aber lustigem) Rheinländischem Dialekt, ein wenig einfach im Geiste, und letztlich in diesem Gedankenspiel genauso Phantom und potenzielle Kindsaussetzerin. 
DSC00386In diverseren Rollen spielen Almut Henkel (mit ganz eigener Komik und Ernsthaftigkeit), Boris Koneczny (eher der [stille] Vater des Stücks und Julius Forster (wie auch bei "Die Räuber" genial überzogen, aber auch mit ruhigen Ecken und Kanten). Sie alle sind Blanca oder Teil ihres Schicksals. Und letztlich gehen wir Zuschauer mit der Frage nach Hause: Sind wir nicht alle eine "Blanca" - ein Phantom im Leben?
Im Zentrum steht eine Frau, nennen wir sie Blanca, es ist die Frau aus dem unbekannten Land, die Frau mit den vielen Sprachen, die Bulgarin, die Kroatin, die Romni, die Nicht-Deutsche … − ganz wie es uns gefällt …, die Missbrauchte, die Täterin, die Kluge, die Naive, die Ausgebeutete, die Taffe … Wir begleiten Blanca auf ihrer spannenden Reise in ihr neues Heimatland. Dabei werden wir konfrontiert mit den Überlebensstrategien von Menschen, die sich durchbeißen, und erfahren gleichzeitig viel über uns selbst und die  gesellschaftlichen Werte, Zuschreibungen und sozialen Rollen, die wir längst verinnerlicht haben, so das Nationaltheater in seiner Beschreibung des Stücks. Und diese trifft das Gesehene ziemlich genau. Wir lachen über Klischees, weil wir sie verinnerlicht haben - wir verurteilen deshalb gleichermaßen. Termine
Während der Einführung vor Beginn des Stücks war ich grenzwertig neugierig. Von der Aussicht auf ein eher politisches Stück, war ich nicht wirklich begeistert. Nach zehn Minuten jedoch hatten sie mich, diese fünf auf der provisorisch anmutenden Bühne. Ich habe gelacht, mich fremdgeschämt, mitgedacht und war letztlich von ihrer Lösung genauso überrascht, wie ich es wohl sein sollte (aber nicht erwartet hatte). Bei allem Spaß regt das Stück dennoch zum Nachdenken an. Es ist aktuell wie nie, brisant und Auftakt für die thematische Reihe einiger Stücke, die uns in der kommenden Spielzeit im Nationaltheater Mannheim erwarten werden. 
Daher also mein Ratschlag für den Herbst: Hingehen!
https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/schauspiel/stueck_details.php?SID=2263