Sonntag, 3. April 2011

Sieben Jahre Schlaf - Gastrezension bei bibliophilin


Danke, dass ich als Rezensentin zu Gast sein durfte!!





Vom banalen Scheitern am Leben selbst Ganz banal ließe sich sagen, „Sieben Jahre Schlaf“ von Karin Richner ist eine weitere Erzählung über Familientragödien, wie sie täglich und überall geschehen. Das aber wird ihrem Roman bei Weitem nicht gerecht. Geschickt verknüpft die Autorin in einer Tragödie mehrere Einzelschicksale der weiblichen Familienmitglieder und zeigt somit, dass alle Geschichten auf eine magische Weise miteinander verbunden sind. Dabei bedient sich Richner eine poetischen Sprache, die schwerlich zu vergessen ist und schwer im Gemüt hängen bleibt, wie zu süßer Wein an heißen Tagen.

Nur gut 100 Seiten zählt der Roman, aber diese sind völlig ausreichend. Der Leser weiß alles, aber trotzdem bleibt so viel zu fragen. Die Autorin erzählt nicht viel über die Personen, von denen sie schreibt, und dennoch hat man sie ganz klar vor Augen. Vielleicht lässt der Roman den Leser deshalb traurig und träge zurück, wie nach sieben Jahren Schlaf muss man selbst aus dieser abgeschotteten Welt zurück kommen. Die Ich-Erzählerin Lucie springt beim Erzählen zwischen Längst-Vergangenem, ihrem jetzt und der Zukunft, die sie schon kennt. Fakt und Fiktion sind mitunter nicht klar zu trennen. Sie erzählt nicht nur von sich selbst und ihrer Kindheit, sondern auch von den Leben ihrer Mutter und der Großmutter.

Erstaunlicherweise bleiben die Männer, die ohnehin wenig in der Geschichte auftauchen, fast platt neben den weiblichen Figuren. Lucies Vater malt und presst Pflanzen, bis er gezwungenermaßen aus seiner Plattheit ausbricht und Architekt wird. Damit aber geht die Bindung, die Lucie zu ihm hatte in die Brüche. Männer bleiben Randfiguren von weit weg oder kommen aus anderen Beziehungen und Leben, wohin sie auch wieder zurück gehen. Der Freund der Mutter bleibt namenlos, sogar Lucies Vater; detaillierte Beschreibungen lässt Richner nur für ihre Protagonistinnen und die Umgebung zu. Das gibt dem Buch eine fast noch tragischere Komponente, denn das Drumherum scheint somit einen höheren Stellenwert einzunehmen, als die Menschen selbst.

Ohnehin, die Figuren der jungen Autorin gehen schlafwandlerisch in ihren Leben umher. Sie nehmen wahr, was sie wahr nehmen (oder haben) wollen. Im Grunde sehnen sie sich alle nach Geborgenheit. Was sie finden, sind Träume und Illusionen von sich selbst und den Anderen – die nicht aufrecht erhalten werden können. Das spüren sie und der Leser; später lässt die Autorin den Leser sogar wissen, dass das Haus, in dem Lucie ihre Kindheit verbracht hat nicht mehr steht; alle Anderen von damals sind fort; Lucies Zuhause, in dem sie mit den Eltern glücklich war, ist leer und fremd; Fremde mieten dort Zimmer.

Was die Protagonisten finden sind Dinge, die besser in staubigen Ecken der Erinnerungen geblieben wäre: Lebensentwürfe, die sie nicht leben können oder wollen und sie umkrempeln, bis nichts mehr ist, wie es einmal war – und eigentlich wäre alles ganz gut gewesen; die neuen Leben allerdings sind es nicht. Diesen Fehler begeht jede der drei Frauen, unabhängig von der Generation, in der sie heranwächst. Beim Lesen drängt sich daher die Frage auf, ob es einen Schuldigen geben kann. Vielleicht bleibt gerade deshalb ein trauriges Gefühl zurück, denn dem Leser ist klar, dass die Protagonistinnen sich arrangiert haben mit dem Leben, das sie bekommen haben. Dennoch weiß er, dass es nicht das bestmögliche Leben ist. Daran muss man nicht notwendigerweise scheitern, aber es scheint, als ob das für die Akteure in diesem Buch der Fall ist.

Richners Buch ist wie eine dieser Kisten, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens anlegt und aufbewahrt. Darin sind Dinge, die man eigentlich gar nicht haben will, an die man sich nicht erinnern kann oder die man besser vergessen hätte. Träume, Erkenntnisse, Verfehlungen und glückliche Momente. Es ist ein kluger Roman, der ein Bild von Generationen zeichnet, wie sie in jeder Straße, überall auf der Welt neben uns leben könnten. Der Leser ahnt, er selbst könnte zu solch einer Familie gehören, vielleicht steht eine solche Kiste auf dem eigenen Dachboden. Am Ende klingt ein Satz nach, den Lucie fast gedankenlos unter die anderen gemengt hat: „Mama auf dem Vordersitz, und Papa, der beide Hände am Lenkrad hatte und konzentriert auf die Straße schaute, und auf dem Rücksitz ich, und rund um uns das blaue Metall des Autos, und über uns die Sonne, und dann tauchte das Meer vor uns auf, und dann waren wir zurück und stiegen aus, und Mama topfte auf dem Balkon die Geranien um, und Papa klebte Pflanzen auf, und ich las in meinem Buch und wusste nichts davon, wie wenig Zeit uns noch blieb“.

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