Zu Ostern habe ich mir selbst etwas geschenkt. Eine Theaterkarte. Ich gebe offen zu, dass ich ein neues Hobby gefunden habe. Wäre ich ein Teenager, ich glaubte gar, ich hätte eine neue Schwärmerei. Heute, NACH dem Germanistikstudium, gehe ich öfter ins Theater, als es mir zu Studienzeiten jemals eingefallen wäre. Dieses Mal auf meinem Spielplan: Heinrich von Kleist: "Der zerbrochne Krug".
Mich verbindet mit Kleist eine seltsame Zuneigung, obgleich ich nur wenige Stücke von ihm kenne (und noch wenigere schätze [hier aber vor allem "Das Erdbeben in Chilli"]). Mir ist der Autor zu "kriegerisch". Eine Ausstellung im Jahr 2011, ich weilte zufällig in Berlin, ließ mich nicht los, sodass ich mich quer durch die Stadt aufmachte (zu Fuß und bei wirklich sommerlichen Temperaturen), sie zu besuchen. Ich habe es nicht bereut! Jetzt nähre ich mich Kleist einige Jahre später also noch einmal an, nicht direkt zu Fuß. Aber, ich bin ein gut-vorbereiteter Thetaergänger. Ich lese die Stücke vorher (okay, ich gebe zu, ich kann eigentlich auch wieder einmal nicht aus meiner Germanistenhaut). Und daher war ich dieses Mal richtig gespannt, denn das Lustspiel von Kleist hat es durchaus in sich. So auch die Inszenierung im Mannheimer Nationaltheater. Gewagt darf man sie durchaus nennen, ungewöhnlich, ironisch, temporeich und witzig; klug inszeniert, bis ins kleinste Detail - wobei gerade diese fehlen.
Die Bühne ist ein einziger Block, vor den Zuschauern, sozusagen hinter der Bühne, gibt es noch einmal Zuschauerreihen. Das Stück ist sozusagen interaktiv. Das Publikum wird - ob es will oder nicht - miteinbezogen. Mir gefällt das, einige Zuschauer sind aber sichtlich erschrocken darüber. Gewohnt temporeich erzählt Kleist in diesem Lustspiel gleich auf mehreren Ebenen vom Zerbrechen. Da zerbricht ein Objekt, der Krug der Marthe Rull (Anke Schubert), ein unwiderbringliches Familienerbstück mit geschichtlichem Hintergrund. Kleinbürgerlich, wie sie ist, trägt sie den Fall zu Gericht. Dort regiert Dorfrichter Adam (mein absoluter Favorit im Ensemble: Klaus Rodewald). Und er regiert, nun, sagen wir einmal willkürlich, lasterhaft, lügenreich - eben auf seine eigene Art (dennoch irgendwie sympathisch, auweh!). Adam hat an diesem Gerichtstag jedoch einen Fall getan, angeblich aus dem Bett, doch bald weiß man es besser. So liegt er verletzt am Boden, als Schreiber Licht (beflissen: Sven Prietz) ihn am Morgen weckt. Gerichtsrat Walter (eher Börsianer und zu viel Gutmensch: Martin Aselmann) ist auf dem Weg (verzögert, denn die Deichsel brach!), die Huisumer Rechtssprechung unter die Lupe zu nehmen.
So kommt es also zur Verhandlung des Falls des zerbrochenen Kruges in seinem Beisein (jedoch ohne das Beisein der richterlichen Perücke, die selbst die sexy Mägde (lüstern: Almut Henkel und Michaela Klamminger) nicht aufzutreiben wissen. Marthe beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter, Bauernsohn Rupprecht Tümpel (Matthias Thömmes), den Krug zerbrochen zu haben. Wird er doch zum Militär eingezogen, so denkt sich die wachsame Mutter, sei der Krug durch Lust entzwei gegangen. Eve (Katharina Hauter), die einzige Zeugin vor Gericht, die Wahrheit sprechen könnte, schweigt zum Teil. Ob aus Verzweiflung oder aus Trotz, aus Angst oder aus Liebe. Nur am Ende, fast wie in einem Monolog, lässt Kleist sie zu Wort kommen [weil das Stück sonst ohne Erklärung bliebe], ob sie die Wahrheit spricht, bleibt offen. Gelyncht wird nach dem Krug aber noch einer, Dorfrichter Adam, gegen den letztlich alles sprach. Den Kopf bekommt er nicht mehr aus der Schlinge - und irgendwie tut es dem Zuschauer fast leid, um den Schwerenöter, der doch eigentlich nur eines wollte: Glücklich sein.
Fast wie wahnsinnig hat Kleist in diesem Stück mit "telling names" gearbeitet, den Sündenfall vor Gericht gebracht und allen Zuschauern/Lesern den Spiegel vorgehalten: Alles ist gelogen, wer glaubt, die Wahrheit erkannt zu haben, muss weiterhin erkennen, dass sie vielleicht nur individuell existieren kann. Und weiter belehrt er uns über den Lauf der Welt: Zerbricht vermeintlich Unwichtiges, so kann ALLES aus den Fugen geraten.
Ein Lustspiel, das Gegenstand einer Hausarbeit kaum besser geeignet sein könnte. Eine Inszenierung/Wiederaufnahme am NTM, derer ich nur zu gerne beigewohnt habe.
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