Wirklich lange war ich nicht mehr im Theater. Zu lange. Das liegt nicht nur am zu langen Winter, sondern auch an meiner Angst vor langweilig inszenierten Stücken, an zu viel Modernität oder an mangelndem Respekt der Texte gegenüber (ich kann eben als Germanistin nicht aus meiner Haut). Dann aber die Frage, ob ich einen Deutschkurs meines ehemaligen Gymnasiums ins Theater begleiten würde. Das Stück habe ich bereits mit SchülerInnen erarbeitet: Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing.Ich sagte zu, blieb aber erst einmal skeptisch.
Das Bühnenbild, weiße Wände, die Räumlichkeit simulieren und in den Zuschauerraum hinein ragen, unterbrochen von schwarzen Balken, welche (unterbrochene) Lebenswege - und ich bin zwar noch skeptisch, aber nicht mehr "unüberzeugbar". Und dann die große Überraschung: Der Prinz von Guastalla (galant; mal naiv, mal sich nehmend, was er als Monarch will [und mein absolutes Highlight]: Klaus Rodewald) tritt auf, eher den schönen Künsten zugetan, als dem Regieren und singt mit der bühneneigenen One-Woman-Musikerin eine Akkustikversion von David Bowies "Where are we now?". Es tritt auf, der geschäftige Kammerherr Marinelli (herrlich ironisch, lakonisch und spitzfindig: Reinhard Mahlberg). Und obgleich er für den Prinzen arrangiert, Fäden und Strippen zieht und letztlich für das Ableben des Verlobten von Emilia Galotti, des Grafen Appiani (stirbt stilvoll und mit viel Blut: Matthias Thömmes), verantwortlich ist, mag man ihn.
Das Stück arbeitet klar die Kindlichkeit der Emilia Galotti heraus, und das nicht zuletzt wegen der bezaubernden und zerbrechlichen Anne-Marie Lux, die ihre Figur irgendwo zwischen kindlich-rotznäsig und aus-dem-Elternhaus-ausbrechen-wollen ansetzt. Aber auch ihre (unterdrückte) Weiblichkeit wird endlich klar (nicht zuletzt im gelb-farbenen Hochzeitskleid). Bei Lessing scheint Emilia noch standhafter, in der Inszenierung von Elmar Goerden ist sie es nicht. Denn, auch sie ist "jung, so jung". Ihre "Sinne sind auch Sinne", ihr Blut warm. Und daher erliegt sie hier auch den Avancen des Prinzen in sexueller Hinsicht. Darüber verzweifelt der sittenwütige Vater schier, nichtsahnend die Mutter, die irgendwo zwischen Matrone und machtgeil chargiert. Und mittendrin die Betrogene, Orsina, einstmals Geliebte des Prinzen, nun klarer bei Verstand als je zuvor und doch dem Wahn so nah. Dass Emilia am Ende des Trauerspiels ins offene Messer ihres Vaters laufen muss, ist in dieser Inszenierung noch weniger zu vermeiden, als in Lessings Stück.
Tja, und da sitzen wir dann im dunkeln Theatersaal und trauen uns nicht so richtig, Applaus zu spenden, wo er doch so verdient ist. Zu schnell ist das Stück vorbei gegangen, zu Vieles muss und könnte noch darüber gesagt werden. Und auf dem Heimweg fällt auf, dass tatsächlich vom einstigen Stück (und seinem Originaltext) stehen nur noch die Grundmauern. Aber es hat mich nicht gestört. Im Gegenteil. Zwei Mal habe ich das Stück gesehen und ich würde es wieder tun. Und ab jetzt gehe ich öfter ins Theater - das sollten Sie auch tun!
Theaterkarten für das Nationaltheater Mannheim: https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/
Hier kaufen: http://www.amazon.de/Emilia-Galotti-G-Lessing/dp/3150000459.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen