Samstag, 13. April 2013

Eine souveräne Frau


Gabriele Wohmann ist eine der wenigen Autorinnen, die ich kenne, die es immer wieder schafft, Verlockungen zu erzeugen. In ihren schönsten Erzählungen, die sie zusammen mit Georg Magirius in „Eine souveräne Frau“ veröffentlicht hat, ist dies wieder der Fall. Auf dem Schutzumschlag des Covers, das einen zerbrochenen, aber gekitteten Porzelannteller und eine Gabel zeigt, heißt es: „Würden alle Figuren plötzlich lebendig werden, die in Gabriele Wohmanns unzähligen Erzählungen vorkommen, könnte man wohl eine Kleinstadt mit ihnen bevölkern“. Beim Lesen der ersten Geschichte kommt sie dann, die Verlockung. In dieser Kleinstadt würde man gerne leben und all diese Figuren kennen lernen. Aber der Schein trügt. Schon Gabel und Porzellanteller lassen tief blicken. Geworfen, von einer souveränen Frau, ging der kostbare Teller entzwei, ist anzunehmen, aber souverän, wie sie nun einmal ist, hat sie das gute Stück gekittet, wie sie vielleicht ebenso ihr eigenen Leben hinwirft und dann wieder kittet.

81 Jahre wird Gabriele Wohmann diesen Mai. Sie kann wahrlich auf die Welt blicken, aber sie muss dabei nicht zurück blicken, schon gar nicht wehmütig. Sie ist und bleibt eine Beobachterin ihrer Zeit, ihrer Umgebung, des Lebens schlechthin. Und das macht ihre Erzählungen so spannend. Zusammen mit Georg Magirius hat sie in „Eine souveräne Frau“ angeknüpft an dem, was der geneigte Leser „gewohnt“ ist.  Fast ein bisschen wie in „Twin Peaks“ ist auch hier alles Idyll trügerisch. Da ist die Familie, die den Hund vergöttert, aber die Kinder streng diszipliniert und schlägt.[1] Die Frau, die sich an ein altes und gut gehütetes Geheimnis erinnert, das mit Weihnachten zu tun hat, aber auch mit Liebe und Mord[2]. Ich glaube, ich kann sagen, dass es vor allem diese zuletzt genannte Geschichte ist, die mich besonders beeindruckt und gefesselt hat. Auch lange nach dem Lesen klang sie nicht nach. Deshalb hat diese Rezension auch so lange gebraucht, um fertig zu werden. Alle Geschichten hingen mir lange noch im Nacken und manchmal überkam mich, ganz unverhältnismäßig und aus dem Nichts ein Schauern. Ein Schauern, das erst einmal verarbeitet werden musste, ehe ich die nächste Geschichte im Buch beginnen konnte. Extralesetipp: „Ich hab doch ganz andere Sorgen – eine Geschichte, bei der wir beliebig die Namen der Menschen einsetzen könnten, die um uns herum sind – plus unseren eigenen für den des Protagonisten. (Diese Geschichte ist eine der zwei bisher unveröffentlichten. Alle anderen sind eine Sammlung aus fünf Jahrzenten des Schreibens.)

Und jetzt weiß ich, was dieses Schauern bedeutet. Es zeigt: Ich möchte nicht wirklich in dieser Stadt leben, die Gabriele Wohmann  vor meinem geistigen Auge  entstehen ließ. Ich bin nachdenklich geworden. Nein, ich möchte nicht dort sein, aber ich bin es. Denn ihre Beobachtungen, sind feine Spitzen auf das, was mich tatsächlich täglich umgibt. Hier wie im Roman gibt es das Welttheater,  „allerdings eines, bei dem hinter den banalen Verrichtungen und Problemen die Bruchlinien der Existenz ausgeleuchtet werden. Wer weiß, was hinter den Fenster vor sich geht, in denen ich mich spiegele, wenn ich durch meine Nachbarschaft gehe. Wenn ich das wüsste, wollte ich auch dort sicher nicht mehr leben.

Eine souveräne Frau. Die schönsten Erzählungen, Aufbau, Berlin 2012 (Hrsg. und mit einem Nachwort von Georg Magirius), ISBN 978-3-351-03393-4.

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich bedanken bei Georg Magirius für die Zusendung des Romans, die nette Karte und die Widmung von Frau Wohmann und dafür, dass Ihnen meine Meinung so wichtig war!



[1] Die Bütows
[2]  Gleich die erste Geschichte im Buch: Ein unwiderstehlicher Mann

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