Donnerstag, 7. Mai 2015

Das schöne Leben & sein Ende

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Es ist meine neue Droge: Das Theater. Für zwei wunderbare Stunden muss ich nicht über mich selbst nachdenken, über meine Probleme, Sorgen und Aufgaben. Ich kann eintauchen in die Probleme, Sorgen und Aufgaben von Menschen, die ich nicht kenne. Die noch nicht einmal real sind. Sie leben nur in diesen zwei Stunden. Sie bevölkern eine Bühne, verkörpert von Menschen, deren Beruf es ist, sie zu verkörpern. Das hat etwas sehr Beruhigendes, finde ich. Noch dazu wird mir im Schnelldurchlauf ein stück Literatur präsentiert, für dessen Lektüre ich möglicherweise gar keine Zeit gehabt hätte. Was wollen mein Germansitenherz und meine Seele mehr?
So durfte ich einmal mehr in eine mir fremde Welt eintauchen. In die melancholisch-russische Welt einer Familie in "Der Kirschgarten" von Anton Tschechow. Mit Tschechow habe ich bisher nur das Bild verbunden, das ihn mit einer"Katze" zeigt, die für mich eindeutig wie ein Dackel aussieht:
Anton Ich habe dieses Bild schon lange einmal irgendwo ausgeschnitten und aufbewahrt. Für mich steckt es voller Melancholie. Wie auch sein letztes Stück, das doch eigentlich eine Komödie hatte werden sollen. Steckt nicht aber in jeder Komödie ein Drama und in jedem Drama etwas Komisches? 
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Programmheft Vorderseite
Einst hat sie ein feudales Leben geführt: Gutsherrin Ljubow Ranjewskaja (so wunderbar ladylike und zerbrechlich: Ragna Pitoll). Doch dann starb ihr der Mann am Champagner und ihr kleiner Sohn ertrank im Pool. Ljubow Andrejewna Ranjewskaja flieht, verliebt und verliert sich, verliert dabei aber auch viel Geld und verschuldet ihr Gut mit dem heißgeliebten Kirschgarten. Nach fünf Jahren der Abwesenheit setzt das Stück am frühen Morgen ihrer Rückkehr ein. Mit dabei hat sie ihren kindlichen Bruder Leonid Andrejewitsch Gajew (tapsig und doch voller Feingefühl: Reinhard Mahlberg), und ihre Tochter Anja (Dascha Trautwein). Auf die Rückkehr hat nicht nur Hausdiener Firs (ohne Worte wunderbar: Gabriela Badura)sehnlichst gewartet.
In der Zeit der Abwesenheit hat Pflegetochter Warja (die wunderbare Katharina Hauter) das Gut und den Haushalt versorgt. Aber auch das frech-nahezu-freizügige Stubenmädchen Dunjascha (sexy: Michaela Klamminger), der ewige Student Pjotr Sergejewitsch Trofimow (vom radikalen Nerd bis hin zum unerfahrenen Liebhaber: Sascha Tuxhorn), der abgebrannte Boris Borissowitsch Simeonow-Pischtschik (Jacques Malan) und Prokurist Semjon Pantelejewitsch Jepichodow ("Jeden Tag passiert mir ein Unglück!" Sven Prietz) haben aus verschiedenen Gründen auf die Rückkehrer gewartet. Wunderbar die abgewandelte Gouvernante, Charlotta Iwanowna, die hier von einem Mann verkörpert wird (Ralf Dittrich), Rolle und Akteur setzen ein Zeichen für die Akzeptanz von Homosexualität, sorgen aber auch für die nötige Melancholie im Stück. Denn das feierwütige Volk lebt, als hätte das süße Leben kein Ende. Dafür aber sorgt Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, den ich schon im Original-Stück von Tschechow so gerne mochte - wen wundert es, dass er mir auch auf der Bühne in Gestalt von Klaus Rodewald gefällt? Lopachin versucht nahezu verzweifelt die Familie zur Vernunft zu bringen, aber man feiert sich lieber die Seele aus dem Leib, als gäbe es kein Morgen.
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Programmheft hinten
Und so leben sie alle einhellig an ihren Problemen vorbei, ignorieren, was gut für sie wäre, steuern vom Glück ins Unglück und umgekehrt und führen nur dem Zuschauer vor Augen, wie endlich alles ist.
Ein wunderbares Stück, ebenso wunderbar inszeniert, das mit ein wenig Melancholie im Herzen in den Maiabend entlässt. 

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